Ein Krisen-Erfahrungsbericht - „Anlegen im perfekten Sturm“ Praxisbeispiel Corona-Crash 2020

Die Corona-Krise als Klassiker der Verhaltensökonomie

Corona ist uns bestimmt noch allen in lebhafter Erinnerung und deshalb ist Corona auch ein gutes Praxisbeispiel, um den Umgang mit Krisen für Dich noch greifbarer zu machen. Insofern ist der Juni-Blog 2024 als Praxisbeispiel zum Mai-2024-Blog  ( „Die nächste Krise kommt bestimmt - das „Krisen-Einmaleins“ zur besseren Krisenbewältigung) zu verstehen.

Für diesen Blog kann ich auf Gedächtnisprotokolle zurückgreifen. Das ermöglicht mir, meine Anlageüberlegungen samt aller Emotionen und Unsicherheiten authentisch zu beschreiben. Besonders die Wochen und Monate zwischen März und Mai waren von Angst, großer Unsicherheit und einer regelrechten Weltuntergangsstimmung an den Märkten geprägt.

Februar 2020

Corona breitet sich aus. Gefühlt ist es ein China-Problem, doch die Einschläge kommen immer näher. Langsam muss man das auch bei uns ernst nehmen. Ich bin nicht in der Lage, einzuschätzen, wie es sich das entwickeln wird. Die Situation ist völlig neu. Jedenfalls kann ich sie mit bestem Willen nicht einschätzen. Ich verfolge derzeit nur mit Schrecken die Nachrichten und lerne neue Begriffe.

März 2020

16.3.2020 - ein historisches Datum: Der erste bundesweite Lockdown in Österreich.

Etwas Ähnliches habe ich noch nie erlebt. Das ist schon beängstigend und macht was mit einem. Plötzlich ist man mitten in einem Szenario, dass man nur aus Katastrophenfilmen kennt. Erstmals in der Geschichte erleben wir eine Krise, die jeden einzelnen Menschen in irgendeiner Form zur selben Zeit betrifft.

Diese Krise trifft auf Investoren, die in einer „zinslosen“ Welt mit viel billigem Fremdkapital versorgt wurden. Kreditfinanzierte Aktienportfolios > Angst vor einer unberechenbaren Pandemie und einem noch überhaupt nicht abschätzbaren Konjunktureinbruch verbunden mit einer Welle von Margin Calls > für die Betroffenen heißt das natürlich: "Cash is King" - um jeden Preis raus aus dem Markt. Diese Gemengelage macht Angst und könnte zum perfekten Sturm ausarten. Jetzt zeigt sich einmal mehr: Je höher die Märkte stehen, desto schneller fallen sie in der Krise. Aus diesem Grund ist der Ausverkauf der letzten 5 Wochen auch so dramatisch und undifferenziert. Alles geht nach unten. Ich bin grad unfreiwillig Zeuge des bisher schnellsten Markt-„Sell-Offs“ aller Zeiten.

Der Markt funktioniert nicht mehr. Für einen sinnvollen Positionsabbau ist es wohl längst zu spät. Ein solcher wär unter den aktuellen Rahmenbedingung auch kaum noch sinnvoll möglich. Jetzt heißt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht von der Panik an den Märkten anstecken zu lassen. Ruhig bleiben, auch wenn die Verluste weh tun. Jetzt heißt es, sich der eigenen Regeln zu besinnen und auf die vielen Jahre Erfahrung vertrauen. Der Verkaufsdruck wird erst aus dem Markt sein, wenn die kreditfinanzierten Notverkäufer verschwunden sind und die „Stopp-loss“-Orders abgearbeitet sind. Erst dann haben rationale Überlegungen wieder eine Chance. Es gilt nun im Chaos die Liquiditätsreserve besonnen zu nutzen, um nicht nur Verluste zu schlucken, sondern auch von der späteren Erholung ordentlich profitieren zu können und so den Grundstein für zukünftige Erfolge zu legen.

April 2020

Die letzten Wochen waren schwierig. Nichts wie raus aus den geschlossenen Räumen. Man lernt langsam mit der Pandemie zu leben und freut sich auf den Frühling und hofft mit der Wärme auf etwas mehr Freiheit und Unbefangenheit. Ich habe das tatsächlich unterschätzt und in dieser Dimension wirklich nicht erwartet. Nicht im Alltag und nicht an den Börsen. Einen kühlen Kopf bewahren und sich nicht von der Panik an den Märkten anstecken lassen ist leicht gesagt und schwer umzusetzen bei solchen Daten:

13.789 Punkte – dieses Rekordhoch markierte der Dax noch am 19. Februar. Seitdem ging es steil nach unten. Zwischenzeitlich lag das Minus bei knapp 39 Prozent, aktuell sind es noch 22 Prozent. Bis Ende April sanken 106 von 115 Länderindizes weltweit, der Schnitt liegt bei 15 Prozent Verlust.

Mai 2020

An der Nachhaltigkeit der mittlerweile deutlichen Erholung der Aktienmärkte darf man noch zweifeln. Manchmal entwickeln sich Märkte im Einklang mit der Realwirtschaft und manchmal scheinen sie völlig abgekoppelt zu sein. Das Szenario, das aktuell in die Kurse eingepreist wird, scheint der aktuellen Informationslage meiner Einschätzung nach nicht angemessen zu sein und ist für meinen Geschmack zu optimistisch:

  • Wir haben rechtzeitig bis zum Winter einen Impfstoff (d.h. innerhalb von 6 Monaten!)

  • Die staatlichen Maßnahmen sind wirksam und angemessen

  • die Wiederbelebung der Wirtschaft gelingt,

  • eine Insolvenzwelle bleibt aus und

  • es gibt auch keinen coronabedingten nachhaltigen Nachfrage- oder Angebotsschock und damit bleiben auch Deflations- und Inflationsrisiken kontrollierbar.

Für mich klingt das ein bisschen nach Weihnachten im Sommer.

Langsam zeichnet sich für mich ein klareres Lagebild ab und die Turbulenzen an den Märkten verlieren langsam ihren Schrecken. Meine Schlussfolgerungen lauten b.a.w.:

Ich bin wieder einmal froh, nicht aktionistisch verkauft zu haben. Der übliche Zwiespalt: Der Bauch schriet laut „verkaufen“ und der Kopf mahnt eindringlich „still halten“. Ich bleibe jetzt aus Überzeugung vorsichtig. Die aktuelle Erholung nutze ich für einen kritischen Portfolioreview und ich möchte bei dieser Gelegenheit noch die „Kriegskasse“ mit ein paar selektiven Verkäufen aufstocken. Ich werde ab sofort beginnen, potenzielle Kaufkandidaten und Krisenprofiteure vorzuselektieren und zu priorisieren. Mit den ersten Kaufpositionen warte ich aber noch ein wenig und werde die Augen und Ohren weiter offen halten.

Es würde mich überhaupt nicht stören, wenn sich meine aktuellen Zweifel als unbegründet herausstellen und

  • die Erholung setzt sich fort und die Kurse werden von der Realwirtschaft unterfüttert,

  • der Restart der Wirtschaft tatsächlich ohne zweite Corona-Welle gelingt,

  • die Klein- und Mittelbetriebe überleben und

  • die befürchtete Insolvenzwelle ausbleibt und

  • die Menschen ihre Arbeitsplätze zurückbekommen.

Für mich stimmt das Chance-/Risikoverhältnis derzeit einfach noch nicht. Wenn das optimistische Szenario so eintritt, fein und ich kann auch zufrieden sein, aber wenn nicht, will ich besser vorbereitet sein. Langsam verfestigt sich in mir ein Bild und ich nehme die Pandemie als Anleger zunehmend als Investmentchance wahr …

Meine Corona-Arbeitshypothese für den Sommer und Herbst 2020 lautet nun wie folgt:

Ich denke, der Markt ist noch sehr fragil und es ist daher noch Vorsicht geboten. Ich will in keine „Bärenfalle“ tappen. So schnell und irrational der "Sell-Off" war, so schnell und irrational scheint auch die Erholung. Ich traue dem Frieden aber angesichts vieler unkalkulierbarer Unsicherheiten noch nicht. Was mich besonders erschreckt ist, dass die Nachrichten noch so schlecht sein können und der Markt steigt trotzdem munter weiter. Vor 6 Wochen war das Chance-/Risikoverhältnis jedenfalls besser als beim derzeitigen Kursniveau. Ich möchte jetzt eher mein Portfolio überprüfen, einerseits ausmisten und gleichzeitig ein paar Gewinne steuerschonend (Verlusttopf optimieren) mitnehmen und so die Kriegskasse für später aufstocken. Kein Grund überstürzt zu handeln. Ich sammle Informationen. Aktuelle Tendenzen:

* Die USA scheint sich mit hoher Wahrscheinlichkeit schneller zu erholen als Europa.

* Technologie profitiert und „Old Economy“ leider unter der Pandemie.

* Der Digitalisierungs-Trend wird durch Lockdown und Home Office deutlich verstärkt.

* Interessante Themenfelder für „Schnäppchenjagd“ > Technologiewerte in Bereichen E-Commerce, E-Medizin (elektronischer Krankenschein, Web-Apotheken), Cloud Computing, Digital Payment, Cyber Security, …

* Interessant auch die Spekulation, wer beim Impfstoff das Rennen macht. Auch hier zeichnen sich erste Kandidaten ab. Eine Goldgrube …

Erste Käufe wage ich vielleicht selektiv schon im Sommer. Die Herbstsaison dürfte dieses Jahr besonders spannend werden. "Corona-Stock-Picking" lautet die Devise. Dafür muss ich mich positionieren. Dieses Jahr besteht ziemlich sicher keine Eile. 2020 sind die Early Birds unter sich … Im nächsten Jahr werden die Märkte schon um einiges schlauer sein und mehr wissen. Der richtige Weg scheint daher: Nichts überstürzen und weiter sensibilisiert Zeitungen und Kommentare lesen und sich aus der Vogelperspektive und der nötigen Distanz eine belastbare Meinung bilden.

Fazit im Rückblick:

Die Erholung der Börsen stellte sich rückblickend doch als nachhaltig heraus und die großen Indizes erreichten bald wieder die Vor-Corona-Stände, in den USA einige Monate früher als in Europa. Von Corona blieb in den Charts letztendlich eine klassische V-Formation übrig.

Meine beschriebene Coronakrisenbewältigungsstrategie bestätigte sich als richtig. Natürlich hätte man mit dem Wissen von heute das Timing noch optimieren können. Aber das ist immer so. Mitten in der Unsicherheit einer Krise Entscheidungen treffen zu müssen ist eine andere Dimension. Unter Unsicherheit ist eine angemessene Risiko-Chancen-Abwägung immer wichtig, während im Nachhinein der Ausgang natürlich klar ist. Im Zweifel entscheide ich mich immer für die vorsichtige Variante. Die Corona-Unsicherheiten dominierten die Börsen in abgeschwächter Form noch einige Zeit. Das Gröbste war aber an den Börsen Anfang 2021 überstanden. Im Rückblick dominieren in der Erinnerung die enormen Investmentchancen über die Risiken und Verlustängste. In den Charts bleibt vom Corona-Crash mittlerweile nur noch ein unspektakulärer Knick.

Ab Februar 2022 dominierte der Angriff auf die Ukraine durch Russland in Verbindung mit Sanktionen, Energie- und Inflationskrise die Märkte und sorgte für neue Favoriten.

Im Oktober 2023 wurden die Märkte schließlich durch den wiederaufgeflammten Nahostkonflikt in die Zange genommen.

Die Nächste Krise kommt bestimmt. Und wird auch wieder vorbeigehen. Für die Zeit dazwischen gilt es jetzt aus der Vergangenheit zu lernen, um die nächste Krise dann erfolgreicher und mit mehr Gelassenheit zu managen.

Ich empfehle im Zusammenhang mit diesem Blog auch den Mai-2024-Blog (Die nächste Krise kommt bestimmt - das „Krisen-Einmaleins“ zur besseren Krisenbewältigung) zu lesen.

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Die nächste Krise kommt bestimmt - das „Krisen-Einmaleins“ zur besseren Krisenbewältigung